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Der geschichtliche Faustus |
Die in allen modernen Epochen wohlbekannte, in der Literatur und in den anderen K�nsten oft verwendete Faustgestalt soll auf eine in der Lutherzeit dokumentarisch bezeugte Pers�nlichkeit zur�ckgehen. Die deutsche Literaturwissenschaft forschte schon seit ihren Anf�ngen in der deutschen Romantik nach einem "geschichtlichen" Faustus und sch�tzt immer noch das Faustbuch (Historia von Dr. Johann Faustus, ca. 1580) vor allem als Quelle f�r Informationen �ber diese beliebte Heimatfigur. Derartige Faszination mit volkskundlichen Materialien kennt man ja etwa auch f�r die Arthurromanzen, oder aus der monumentalen Arbeit von Robert Graves in der klassischen Mythologie. Ob man einerseits die geschichtlichen “Tatsachen” zu erschlie�en, oder andrerseits die "echten" Bestandteile der Fabel zu bestimmen versucht, l�uft man Gefahr, an die eigene Nase anzusto�en, da das imaginative Moment in der �berlieferung weit �ber die etwaigen geschichtlichen Ereignisse hinausschweben mag. Gerade die archivalisch nicht bezeugten Episoden im Faustbuch sind ja offensichtlich die wahrscheinlichst echten Sch�pfungen seines Autors.
Was aber die Literaturgeschichte anbelangt (erst durch die Druckerpresse wurde die Faustfigur in deutschen Landen ber�hmt), tauchen die ersten erhaltenen Sammlungen von Faustgeschichten um das Jahr 1580 in N�rnberg auf, dem damals bedeutendsten Kulturzentrum Nordeuropas. Die eine wurde von Christoph Ro�hirt zusammengestellt und enth�lt Streiche gegen die Bauern, die Juden, die Spie�b�rger usw., die sich von �hnlichem sog. Volksmaterial wesentlich nur dadurch unterscheiden, da� sie von einem Zauberer und seinem Hausgeist gespielt werden. Unklar bleibt ihr Verh�ltnis zur Historia, welche um dieselbe Zeit ein begabter Schriftsteller teils anhand solcher Episoden zu einem reizvollen kleinen Roman bildete: die hier in englischer �bersetzung gebotene Handschrift. Sie ist von Interesse vor allem als eines von den allerfr�hesten Beispielen des Genres in einer modernen Sprache.
Wieso darf man das Faustbuch einen Roman nennen? Der Autor zieht seine s�mtlichen Episoden artig zu einer konsequenten Handlung zusammen--keine unbedeutende Leistung unter diesem fr�hen Datum in Nordeuropa. Sein Werk hat Hand und Fu�, Anfang, Mitte, und Ende, alles erz�hlt mit Geschicklichkeit und dem Humor, welcher Erz�hltes vom Erz�hler absetzt. Doch wei� der Anonymus seine Kunst in den Dienst einer eigent�mlichen Weltanschauung zu stellen. Ja wahrscheinlich lag f�r den K�nstler der Reiz des Fauststoffs gerade darin, da� Faustus f�r diesen Gehalt geeignet schien. Denn in den Religionsdebatten der Zeit enthielt der Name Faustus f�r viele einen bedeutenden konfessionellen Sinn.
Das
von Martin Luther ausgel�ste und erst
nach seinem Tode durch das Trienter Rumpfkonzil entschiedene
Kirchenschisma
beherrschte immer noch das Denken N�rnbergs, wo die
Kirchen�mter
von Wittenberger Graduierten besetzt waren (wie
z.B. Veit Dietrich, oder Andreas
Osiander, Pastor in der Lorenzkirche und sp�ter als
Kopernikus-Herausgeber ber�hmt). Die Reformer standen nicht
mehr nur im Widerspruch
zu Rom sondern oft auch in doktrin�rem Zank miteinander. Die
ganze
Welt dachte damals in konfessionellen Kategorien, und mit Recht, da die
Doktrin
sowohl im privaten Leben wie auch in der Politik und sogar in
gesch�ftlichen
Anglegenheiten das f�hrende Prinzip bildete. Der unbekannte
Faustbuch-Autor
brauchte nicht etwa Geistlicher, auch gar nicht mit der Kirche eng
verbunden
zu sein, um mit den Argumenten, ihren konfessionellen Termini und
geschichtlichen
Anspielungen vertraut zu werden.
Ein
sogar sehr ber�hmtes, dem Jahrhundert
Dr. Luthers auch besonders wohlbekanntes historisches Vorbild f�r
den deutschen Faustus hat es indessen
wirklich gegeben. Zwar hatte er mehr als ein Jahrtausend vorher
in der r�mischen Provinz Numidien gelebt, aber der
ber�chtigte nordafrikanische Ketzer Faustus war
f�r Doktor Luther
darum besonders wichtig, weil er eine Hauptrolle in der Entwicklung
von Luthers "Evangelium der Gnade" gespielt hatte.
Die
Schriften von Aurelius Augustinus (354-430), dem Schutzheiligen von
Luthers
Orden, verehrte der augustinische M�nch sogar �ber gewisse
biblische
B�cher (etwa die Episteln Jakobs, welche die Werkheiligkeit
anerkennen).
Augustinus geh�rte zu den Formulierern der katholischen
Glaubenslehre,
die in den fr�hen Jahrunderten der christlichen
Epoche
bestrebt waren, die Orthodoxie eindeutig gegen
ketzerische Anf�lle
abzugrenzen.
Am besten bekannt unter Hauptgegnern des Augustinus war der sehr
begabte
Bischof einer christlichen Sekte, der Augustinus selber fr�her
angeh�rt
hatte. In Augustins volumin�sem, bei Johannes Froben (1506), dann sp�ter von Desiderius Erasmus
ediertem
und im 16. Jarhundert viel gelesenem Opus bilden die umfangreichste
Abteilung seine Traktate (Zusammenfassung ).
Der numidische Faustus war Bischof unter den Manich�ern, einer Sekte, welche ihre Glaubensartikel auf der Vernunft zu basieren behauptete. Sie waren geschickte Astronomen, ger�hmt f�r treffende Kalkulationen zu den Bewegungen himmlischer K�rper. Faustus war bekannt f�r seine Anma�ung, genauestens das Gute und das B�se gegeneinander abgrenzen zu k�nnen, denn die radikale manich�ische Weltteilung zwischen Licht und Dunkel war f�r die Sekte charakteristisch. Augustinus mu�te den manich�ischen Dualismus schlie�lich f�r unvereinbar mit dem judeo-christlichen Monotheismus erkl�ren. Er ver�ffentlichte die von Faustus repr�sentierten Thesen, um sie auf diese Weise mit der eigenen Auffassung katholischen Glaubens zu konfrontieren. In diesen schriftlichen “Disputationen” mit Faustus fanden dann nach anderthalb Millennien die Lutheraner solide Unterst�tzung f�r ihr eigenes Bestehen auf die Alles umfassende und Allem zugleich innewohnende, immerw�hrende Gnade Gottes, die �ber alle Vernunft geht. Sie hielten den ketzerischen Vernunft-Glauben f�r eine Eingebung des Teufels, und Luther verglich selber gerne die Manich�er mit den Papisten, denen er auch das Dispensieren und Manipulieren der g�ttlichen Gnade vorwarf.
Diese augustinisch-lutherische Vorstellung von der
allesvereinenden
Gnade Gottes erscheint denn auch als zentrales Problem in dem
Faustbuch. Faustus kann es einfach nicht glauben, da� ihm
seine
S�ndhaftigkeit vergeben werden k�nne. Immer wieder
betont der Autor,
da� diese S�nde mit jener Urs�nde identisch ist, welche
das
Alte sowie das Neue Testament verbietet, dem �berheblichen Stolz
n�mlich,
die
eigenen Verbrechen seien gr��er als ein gn�diger Gott
zu vergeben vermag. Faustus strebt nach allen Kr�ften und
sucht mit allen
Mittleln--ja er beruft sich sogar auf die Hilfe seines Teufels--an die
Gnade
Gottes einen Glauben zu gewinnen. Mephosto versichert ihm wiederholt,
da� er sich
gerade durch solche Bestrebung zur H�lle verdammt. Die
besondere
Zuspitzung dieses uralten christlichen Problems geh�rt zur
Zeitgeschichte
des ausgehenden 16. Jahrhunderts.
Schon in seinen letzten Lebensjahren hatte Martin Luther die Kollegen aus Nord-, West-, und S�ddeutschland, sogar aus England nach Wittenberg (1536) und dann nach Schmalkalden (1537) mit dem diplomatischen Ziel zusammenberufen, vor dem bald zu erwartenden allgemeinen Konzil der katholischen Kirche �ber die Glaubensartikel eine geeinte evangelische Front zu bewahren. Erst in seinem Todesjahr tagte das Konzil zu Trient (1545) aber ohne Repr�sentation der Evangelischen. Schon in der ersten Sitzungsperiode verwarf man Luthers Prinzip sola scriptura, mi�billigte aber auch (mit Luther) den Pelagianismus, die Lehre, der Mensch k�nne durch eigene Bem�hung zum Heil gelangen. In den folgenden Jahrzehnten blieb die Rechtfertigungslehre, und somit die Frage, gerade inwiefern der Mensch der g�ttlichen Gnade nachhelfen k�nne, unter Evangelischen ein strittiger Punkt. Dieser sogenannte Synergismus-Streit kulminierte im Konkordienbuch (1579-81) gerade in den Jahren der Entstehung des Faustbuchs. Sollten wir das Faustbuch im Sinne jener Auseinandersetzung lesen, so k�nnte Fausts eigenm�chtiges Streben nach der g�ttlichen Gnade pelagianistisch hei�en, denn Faustus verk�rpert jene ketzerische Hoffnung, durch eigene Kr�fte k�nne der Mensch die Erbs�nde absch�tteln und zur sittlichen Freiheit und Verantwortlichkeit gelangen.